Fazit
Da der Text sehr lange ist, gleich die Zusammenfassung: Eltern mit Behinderung und Jugendwohlfahrtsgesetz haben grundsätzlich gleichen Zusammenhang, als würde man sagen: Wenn jemand Fahrschule hat, darf er alle Autos fahren, AUSSER er hat Brillen, dann darf er nur Automatikautos fahren.
Zweiter Versuch: Sie gehen zu einem Supermarkt, um etwas einzukaufen. So weit, so klar. Da sie jedoch schwarze Schuhe haben, müssen sie allerdings vorher eine Bankbestätigung über ihren Kontostand bringen
Sie verstehen das nicht? Dann müssen Sie doch den ganzen Text lesen…;-)
Warum das hier steht?
Weil es in Verbindung mit behinderten Eltern nach wie vor zur „Verwechslungsgefahr“ mit Leistungen aus der Jugendwohlfahrt kommt.
Passieren tut dies durch einen – anscheinend irreparablen – Gehirnfehler in (Fach)Köpfen, der jedoch nicht sehr schwer zu verstehen und auf folgende „Gleichung“ zusammenzufassen ist: Behindert = nicht ganz entwickelt = hilfsbedürftig = grooooooßes Fragezeichen, wie das denn gehen soll…
Das dies nicht unseren Beobachtungen entspricht, sondern im Jahr 2016 nach wie vor so ist, zeigt leider die öffentliche Sitzung des MonitoringAusschusses zum Thema Behinderung und Elternschaft (s. http://monitoringausschuss.at/download/protokolle/2016/MA_PR_2016_04_19_fin.pdf).
Nebenbei ist’s gar nicht schwer zu verstehen, ist man fähig und gewillt, das Recht zu diesen Themen zu befragen: Da wäre einmal das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Da wir mit diesem Gesetz schon per du sind, nennen wir es liebevoll StKJHG. Zum anderen die UN-Behindertenrechtskonvention und das steirische Behindertengesetz.
Aber eines nach dem anderen:
Das StKJHG
Zum besseren Verständnis dieses Gesetzes, bringen wir hier im Wortlaut § 1:
(1) Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung.
(2) Die Förderung ihrer Entwicklung und die Erziehung sind in erster Linie die Pflicht und das Recht der Eltern oder sonst mit Pflege und Erziehung betrauter Personen.
(3) Unter Berücksichtigung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen unterstützt die Kinder- und Jugendhilfe die Eltern oder sonst mit Pflege und Erziehung betraute Personen im erforderlichen Ausmaß und nach fachlich anerkannten Standards bei der Ausübung von Pflege und Erziehung durch Information und Beratung und stärkt das soziale Umfeld. Problemstellungen, Entwicklungsrisiken und der Bedarf nach Unterstützung sollen frühzeitig erkannt werden.
(4) Wird das Kindeswohl hinsichtlich einer angemessenen Pflege und Erziehung von Eltern oder sonst mit Pflege und Erziehung betrauten Personen nicht gewährleistet, sind Erziehungshilfen nach dem 3. Abschnitt des 3. Teiles zu gewähren.
(5) In familiäre Rechte und Beziehungen wird nur soweit eingegriffen, als dies zur Gewährleistung des Kindeswohls notwendig und im bürgerlichen Recht vorgesehen ist.
(6) Die Leistungen richten sich nach den individuellen Erfordernissen und der Lebenssituation der Betroffenen. Die Kinder- und Jugendhilfe bezieht die Ressourcen des familiären und sozialen Umfeldes mit ein und unterstützt Kinder und Jugendliche, diese Möglichkeiten besser zu nutzen. Die Kinder- und Jugendhilfe arbeitet mit den Eltern oder sonst mit Pflege und Erziehung betrauten Personen zusammen und beteiligt diese und die Kinder und Jugendlichen situationsgerecht bei der Erbringung von Leistungen.
(7) Die Wahrnehmung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe erfolgt in Kooperation mit den einschlägigen Stellen des Bildungs-, Gesundheits-, Arbeits- und Sozialsystems.
Das steirische Behindertengesetz
Ziel dieses Gesetzes ist es, Menschen mit Behinderung zu unterstützen, damit sie an der Gesellschaft in gleicher Weise wie Menschen ohne Behinderung teilhaben und ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können.
Die UN-Behindertenrechtskonvention
Article 23 – Respect for home and the family
- States Parties shall take effective and appropriate measures to eliminate discrimination against persons with disabilities in all matters relating to marriage, family, parenthood and relationships, on an equal basis with others, so as to ensure that:
(a) The right of all persons with disabilities who are of marriageable age to marry and to found a family on the basis of free and full consent of the intending spouses is recognized;
(b) The rights of persons with disabilities to decide freely and responsibly on the number and spacing of their children and to have access to age-appropriate information, reproductive and family planning education are recognized, and the means necessary to enable them to exercise these rights are provided;
(c) Persons with disabilities, including children, retain their fertility on an equal basis with others.
- States Parties shall ensure the rights and responsibilities of persons with disabilities, with regard to guardianship, wardship, trusteeship, adoption of children or similar institutions, where these concepts exist in national legislation; in all cases the best interests of the child shall be paramount. States Parties shall render appropriate assistance to persons with disabilities in the performance of their child-rearing responsibilities.
- States Parties shall ensure that children with disabilities have equal rights with respect to family life. With a view to realizing these rights, and to prevent concealment, abandonment, neglect and segregation of children with disabilities, States Parties shall undertake to provide early and comprehensive information, services and support to children with disabilities and their families.
- States Parties shall ensure that a child shall not be separated from his or her parents against their will, except when competent authorities subject to judicial review determine, in accordance with applicable law and procedures, that such separation is necessary for the best interests of the child. In no case shall a child be separated from parents on the basis of a disability of either the child or one or both of the parents.
- States Parties shall, where the immediate family is unable to care for a child with disabilities, undertake every effort to provide alternative care within the wider family, and failing that, within the community in a family setting.
Daraus folgt
Vorab: Sorry für soviel Rechtliches vorhin, aber es musste sein.
Aus diesen Ausführungen, entstehen für uns folgende Fragen und Annahmen:
- Aus §1 des StKJHGs, Abs. 2 ist es Pflicht UND RECHT der Eltern, Kinder zu erziehen. Richtig?
- Aus §1 des StKJHGs, Abs. 4 geht hevor, dass §1 des StKJHGs, Abs. 2 nicht ganz zutrifft, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Richtig?
- Aus §1 des StKJHGs, Abs. 5 geht hervor, dass präventiv nicht in Familenstruktur eingegriffen werden darf. Richtig?
Weiters spricht zitiertes Behindertengesetz davon, dass behinderte Menschen gleich teilnehmen sollten können wie jene ohne Behinderung. Richtig?
Ja – und dies sei jetzt nur noch als Draufgabe erwähnt – sagt die UN-Behindertenrechtskonvention klar gleichberechtigte Elternschaft aus.
Wir wollen es genau wissen
Wer uns kennt, weiß, für Wahrheitsfindung sind uns keine Kosten und Mühen zu steil und daher befragten wir am 5.12.2016, um 12:02 einen Juristen einer zuständigen Bezirksbehörde und am 6.12.2016 einen weiteren einer anderen Bezirksbehörde. Diese erklärten uns unisono, dass JWG-Leistungen immer Zielvorgaben enthalten, bei Nicht-Erreichung eine andere Maßnahme gesetzt wird.
Nun, das Ziel bei Behinderung? Hm, etwa Gesundung? Wunderheilung? Wohl eher nicht, sondern schlicht der Anspruch auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmung.
Alles klar, dass nix klar ist?
Umso verwunderlicher, dass es noch immer Menschen gibt, die wie oben ausgeführt agieren und reagieren. Dies lässt folgende Schlüsse zu:
- Diese können nicht lesen und/oder verstehen Gelesenes nicht.
- Sie lesen gar nicht (nach).
- Hängen in alte Schemata fest, die wi ihnen hiermit erlauben, zu verlassen.
Die paar können uns ja egal sein?
Wir wissen, man ist jetzt geneigt, zu sagen, dass es halt solche und solche Menschen gibt. Das stimmt im Prinzip, jedoch wenn „solche“ Menschen, in 1), 2) 3) festhängen UND zusätzlich aus der so genannten Fachwelt kommen, nun dann…
Aber das war ja früher so
Für diese Aussage müssten wir früher definieren, denn (Groß)Teile der Fachwelt sahen das 2014 – also vor rund 720 Tagen – noch so.
Ach ja, und was wir bald vergessen hätten: Das Jugendwohlfahrtsgesetz spricht immer wieder vom Kindeswohl, das gemäß § 138 ABGB – sehr salopp – aussagt, dass für warm, satt und sauber zu Sorgen ist als Elternteil. Und das sollen wir nicht können? Guten Morgen, liebe Fachwelt, willkommen im Jahr 2016!
Und anderswo?
Da man sich hierzulande in verschiedenen Bereichen immer wieder Deutschland als Beispiel nimmt (ob das immer gut ist, sei dahingestellt;-)), ist dieser Weg absolut empfehlenswert in diesem Fall.
Der Ratgeber unter http://www.behinderte-eltern.de/pdf/bbe_Elternassistenz_barrierefrei_Vers1_0.pdf erklärt allgemein sehr gut und stellt die Aufgabe der so genannten Elternassistenz bereits auf den ersten Seiten sehr klar: „…personelle Hilfen zur Pflege und Versorgung der Kinder“.
Aus diesem Werk besonders lesenswert (AUCH FÜR DIE FACHWELT!) d. Seite 44f, wo explizit auf die Jugendhilfe in Verbindung mit behinderten Eltern eingegangen wird (s. http://www.behinderte-eltern.de/pdf/bbe_Elternassistenz_barrierefrei_Vers1_0.pdf#page=44).
Ein ebenfalls sehr kurz und bündiges, dennnoch, oder gerade deshalb, sehr lesenswertes Werk findet sich auch unter http://www.soziales.steiermark.at/cms/dokumente/12001796_5339/e188f49d/LRA11_KJHG-Brosch_08_2016_06.pdf
Danksagung – oder Ende gut, alles gut
In unserem Fall hatte das ein gutes Ende genommen: Wir leben mit Persönlicher Assistenz gut und zufrieden.
Möglich wurde dies jedoch nur, weil (Ober)Behörde mit Herz und Hirn arbeitete, nicht gutachterlich dachte und der Behindertenanwalt des Landes Steiermark gute, um nicht zu sagen, sehr, sehr gute Arbeit in der Vermittlung und rechtlichen Darstellung leistete. DANKE!!!
Zugleich möchten wir uns bei diesen Personen entschuldigen, dass sie mit uns derartig viel Aufwand hatten, wir können jedoch nix dafür: Wir wussten immer, was wir wollen und brauchen. SORRY für den Aufwand und die zeitliche Intensität!!!
Kurioses zum Schluss
Im gesamten Kinder- und Jugendhilfegesetz kommt das Wort „Behinderung“ nie vor, „Beeinträchtigung“ ebenso nicht und „behindert“ nur im Sinne von „gestört“ (vgl. § 48, Abs. 1, Z. 2).
Selbige Beobachtung in der dazugehörigen Durchführungsverordnung.
Wir denken, es wäre für bezahlte Fachkräfte nicht zuviel verlangt, diese 5minütige Recherche durchzuführen und es so zu vermeiden, einen Fehlgedanken aufzusitzen.
PS: Am 18.12.2016 gibt es einen – und darauf sind wir besonders stolz – einen Gastkommentar zum Thema K wie Kinderrechte.